Unsere Recherchen deuten darauf hin, dass es politische Werbung auf TikTok gibt, trotz der Richtlinien der Plattform, die diese Art von Werbeinhalten verbieten. In der Praxis bedeutet dies, dass politische Werbung auf der Plattform unreguliert und unüberwacht ist. In Kombination mit der insgesamt fehlenden Transparenz in Bezug auf Werbung gibt es genügend Möglichkeiten, unentdeckt auf TikTok politischen Einfluss zu nehmen. Die Ergebnisse unserer Nachforschungen zeigen außerdem, dass die unentdeckte Wahlwerbung, die wir bei TikTok in den USA feststellen konnten, mit Leichtigkeit auch in anderen Ländern stattfinden könnte und dass dies zu Zeiten wichtiger politischer Momente, wie Wahlen oder Referenden, wahrscheinlicher wird.

Unsere Empfehlungen an TikTok

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Um weiteren Missbrauch der Plattform zu verhindern und die Transparenz zu verbessern, muss TikTok unbedingt:

1. Effektive Mechanismen entwickeln, mit deren Hilfe Creator*innen Selbstauskunft über bezahlte Partnerschaften oder gesponserte Inhalte abgeben können.

Momentan müssen Creator*innen bei TikTok bezahlte Partnerschaften oder gesponserte Inhalte offenlegen, indem sie die Posts mit dem Hashtag #anzeige kennzeichnen. Dies ist die Mindestanforderung der FTC-Richtlinien für Werbeinhalte. Allerdings wird diese Handhabunginfrage gestellt, weil sie potenziell ein Schlupfloch in den Richtlinien der FTC ausnutzt.

TikTok sollte einen Mechanismus für die Selbstauskunft entwickeln, mit dessen Hilfe Creator*innen Partnerschaften und gesponserte Inhalte zum Zeitpunkt des Hochladens deklarieren können, wie Instagram/Facebook und YouTube/Google es getan haben. Dies könnte ein hilfreicher erster Schritt für TikTok sein, um bezahlte Inhalte auf der Plattform zu überwachen und nachzuvollziehen und Richtlinien effektiver durchzusetzen. Unsere Analyse von Metadaten von Posts auf TikTok hat ergeben, dass TikTok momentan Werbeinhalte nicht systematisch überwacht; ein Mechanismus für die Selbstauskunft könnte TikTok dabei helfen, hierfür bessere Prozesse auf den Weg zu bringen.

Update (02.06.2021): Eine Woche vor der Veröffentlichung dieses Berichts hat TikTok eine neue Richtlinie für Markeninhalte erstellt, in der ein "Branded-Content-Toggle" erwähnt wird, mit dem Influencer bezahlte Partnerschaften offenlegen können. Wir analysieren die Funktion derzeit, um mehr zu erfahren, sind aber vorsichtig optimistisch, dass dies ein Schritt in die richtige Richtung sein könnte, insbesondere nachdem wir diese Probleme im Zuge unserer Recherchen direkt mit TikTok angesprochen haben.

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Beispiele von Instagrams Mechanismen für die Selbstauskunft.

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Beispiele von YouTubes Mechanismen für die Selbstauskunft.

2. In die Implementierung einer robusten Werbetransparenz auf der Plattform investieren, die bezahlte oder gesponserte Inhalte umfasst.

TikTok sollte eine öffentlich zugängliche Bibliothek oder ein Repository aller Anzeigen, Markeninhalte und Werbeaktionen entwickeln, die auf der Plattform laufen, wie es andere Plattformen in unterschiedlichem Maße getan haben (siehe: Facebook Ad Library, Snap Political Ad Library, Google Transparency Report). Obwohl diese Anzeigendatenbanken bei Weitem nicht perfekt sind, haben sie wichtige Untersuchungen im öffentlichen Interesse darüber ermöglicht, wer für die Beeinflussung der politischen Meinung in sozialen Medien bezahlt. TikTok sollte sich bei der Gestaltung dieses Repositorys an den Richtlinien von Mozilla orientieren und sicherstellen, dass es Inhalte aus allen auf der Plattform laufenden Anzeigen enthält, einschließlich bezahlter Partnerschaften und gesponserter Inhalte, die von den Erstellern der Inhalte selbst angezeigt werden.

Dies ermöglicht der Community die Überwachung der Durchsetzung von TikToks Richtlinien und unterstützt eine unabhängige Untersuchung von politischer Online-Werbung. Es steht auch im Einklang mit den Best Practices der Europäischen Kommission zu politischen Werberichtlinien der Unterzeichner des Code of Practice on Disinformation (den TikTok zusammen mit Mozilla unterzeichnet hat).

3. Die Richtlinien und Prozesse zur Durchsetzung von Richtlinien in Bezug auf Wahlwerbung aktualisieren, damit sie jegliche Art von politischer Einflussname umfassen, die auf der Plattform vorkommen kann.

TikTok hat die kommerzielle Entscheidung getroffen, politische Werbung auf der Plattform zu untersagen. Diese Richtlinie wird allerdings nur dann effektiv, wenn sie alle Arten von bezahlter politischer Einflussnahme auf der Plattform umfasst – inklusive Branded Content – und nicht nur Anzeigen, die über TikToks Anzeigen Marketplace platziert werden. Wie bei anderen Formen untersagter Inhalte sollte TikTok einen risikobasierten Ansatz verfolgen, um zu identifizieren, wie die Richtlinie umgangen werden kann, und dann proaktiv Schritte einleiten, um diese Risiken auszuräumen.

Zum Beispiel testet TikTok derzeit eine neue Funktion, die es Creator*innen ermöglicht, für die Bewerbung ihrer Inhalte zu bezahlen. Unklar ist jedoch, ob TikTok bedacht hat, wie die Funktion genutzt werden könnte, um das Verbot politischer Werbung zu umgehen. TikTok sollte diese Risiken bewerten und Schutzmaßnahmen entwickeln, bevor die Funktion veröffentlicht wird.

Durch die Verbesserung seiner Kapazitäten zur effektiven Überwachung von bezahlten Inhalten auf der Plattform, die Einführung einer robusten Transparenz, um die Kontrolle durch die Community zu ermöglichen, und die Aktualisierung seiner Werberichtlinien könnte TikTok das Risiko von Desinformation und bezahlter politischer Einflussnahme auf seiner Plattform verringern. TikTok könnte in Erwägung ziehen, diese Transparenz durch die kürzlich eröffneten Transparency Center in den USA und Europa zu ermöglichen –, die derzeit keine detaillierte Transparenz über Werbung auf TikTok bieten.

Unsere Empfehlungen an Gesetzgeber

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Für Gesetzgeber, die an den in diesem Bericht aufgeworfenen Fragen interessiert oder über sie besorgt sind, hat Mozilla vor Kurzem eine Reihe von Empfehlungen im Zusammenhang mit dem bevorstehenden regulatorischen Eingriff der EU in die politische Werbung veröffentlicht. Wir empfehlen den Gesetzgebern:

1. Eine Verstärkung der obligatorischen Selbstauskunft für Online-Werbung in Übereinstimmung mit den Vorgaben in Artikel 30 des von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Gesetzes über digitale Dienste.

Diese Verpflichtungen sollten für alle auf Plattformen geschalteten Anzeigen gelten, mit erweiterten Offenlegungspflichten für Anzeigen, die als „politisch“ gelten, insbesondere angesichts ihrer besonderen Rolle im demokratischen Prozess und dem öffentlichen Diskurs und ihrer potenziell schädlichen Auswirkungen. Unter anderem haben die Stiftung Neue Verantwortung, die European Partnership for Democracy und wir selbst Ideen zu den Besonderheiten eines solchen erweiterten Offenlegungsregimes vorgelegt. Dies sollte zum Beispiel genauere Informationen über die von den Werbetreibenden verwendeten Targeting-Parameter und -Methoden, das Engagement der Zielgruppe, die Werbeausgaben und andere Versionen der betreffenden Anzeige, die für A-/B-Tests verwendet wurden, umfassen.

2. Die Entwicklung von Regulierungen, die auch neue Formen politischer Werbung mit einschließen.

Bei der Definition von politischer Werbung sollten die Regulierungsbehörden auch politische Inhalte einbeziehen, für deren Erstellung und Bewerbung Nutzer*innen von politischen Akteuren bezahlt werden (d. h., bezahlte Influencer*innen-Inhalte). Plattformen sollten Selbstauskunftsmechanismen für Nutzer*innen bereitstellen, um diese Partnerschaften anzugeben, wenn sie Inhalte hochladen (wie es Instagram und YouTube getan haben). Diese selbsterklärte politische Werbung sollte für die Endnutzer*innen als solche gekennzeichnet werden und in die von den Plattformen geführten Anzeigenarchive aufgenommen werden.

3. Die Entwicklung einer eindeutigen und Technologie-unabhängigen Definition des Begriffs „politische Werbung“.

Die Definition von politischer Werbung ist ein kompliziertes Unterfangen, das die Regulierungsbehörden dazu zwingt, klare Grenzen zu ziehen. Nichtsdestotrotz brauchen wir eine funktionale Definition dessen, was politische Werbung ist und was nicht, um eine verstärkte Aufsicht zu gewährleisten. Bei der Erarbeitung einer Definition sollten die Regulierungsbehörden mit Experten aus der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der Industrie zusammenarbeiten und sich von „Offline“-Definitionen politischer Werbung inspirieren lassen.

4. Die Entwicklung von Gesetzen und Richtlinien, die Transparenz für Nutzer*innen von Plattformen einfordern.

Informationen zu politischer Werbung sollten nicht nur über Anzeigenarchiv-APIs verfügbar sein, sondern auch direkt für Nutzer*innen, wenn sie auf eine Anzeige stoßen. Solche Anzeigen sollten so markiert sein, dass sie sich deutlich von organischen Inhalten unterscheiden. Zusätzliche Informationen, z. B. über den Sponsor oder darüber, warum eine Person angesprochen wurde, sollten verständlich dargestellt werden und entweder in der Markierung enthalten oder über die Anzeige der Inhalte leicht zugänglich sein. Darüber hinaus könnten Plattformen dazu verpflichtet werden, Dritten die Entwicklung von Tools zu ermöglichen, die den Nutzer*innen neue Einblicke geben, z. B. darüber, wie und von wem sie angesprochen worden sind.

Regulierungsvorschläge, die sich mit Desinformation und Problemen im Zusammenhang mit politischer Online-Werbung befassen, müssen zukunftsorientiert sein und die unzähligen Möglichkeiten der bezahlten politischen Einflussnahme auf Social-Media-Plattformen berücksichtigen. In Ermangelung an Transparenz und einer sinnvollen Kontrolle durch die Community werden „Verbote“ für bestimmte Arten von Inhalten nicht ausreichend durchgesetzt. Aus diesem Grund müssen politische Entscheidungsträger*innen einer robusten Transparenz für jegliche Art von Online-Werbung den Vorrang geben, gekoppelt mit risikobasierten Ansätzen für die Entwicklung von Richtlinien und die Durchsetzung durch Online-Plattformen.

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Schlussfolgerung